Die Säge
das Eimermeer
zwei kamele standen in der wüste. ich möchte betonen, in einer sehr trostlosen wüste.
sie standen dort auf einer düne und träumten in den sand. dabei öffneten und schlossen sie gleichzeitig ihre augen mit den langen gebogenen wimpern.
„ach“ stöhnte wohlig das rechte kamel, „gibt es einen ort auf der erde, der schöner ist als die wüste?“
es schloß die augen und träumte weiter von der anmut und schönheit der dünen, wie es nur kamele können. es wiegte dabei den kopf auf dem langen gebogenen hals.
so standen sie und beschauten das wandern des sandes und blinzelten in das helle licht der sonne, die auf ihrer bahn schon dem horizont zustrebte.
„so, so“ meinte nun das linke kamel. ohne ein weiteres wort versank es wieder in sein träumerisches schweigen.
„was meinst du mit – so, so – ?“ fragte das rechte kamel nach einiger zeit.
„einfach nur so – so, so –“ antwortete das linke, ohne seine augen zu öffnen und sich in seinem sinnen stören zu lassen.
„hm“ bemerkte das rechte kamel und drehte seinen kopf der untergehenden sonne zu.
der feine treibsand, der zwischen ihren beinen hindurchwehte, bedeckte schon die gewaltigen kamelfüße und sickerte langsam durch ihr zottiges fell. je mehr sich die sonne dem horizont näherte, so heftiger wurde der wind. er zog lange sandfahnen über die dünen hinweg und ließ die konturen verschwimmen. die beiden kamele auf dem hohen hügel sahen in der ferne zwei große, schwarze vögel, welche sich verirrt hatten und nun stumm und einsam ausruhten. weit ab am horizont konnte man eine bedrohliche, dunkle wolke schnell über die wüste heranjagen sehen. je mehr sie sich den kamelen näherte, um so gewaltiger wurde sie.
„das meer!“ rief plötzlich das linke kamel.
das rechte öffnete erschrocken die augen.
„was, das meer?“ fragte es. das linke kamel wandte sich um –
„du weißt nicht, was das meer ist?“
„eigentlich nicht.“ sagte das rechte kamel beinahe entschuldigend und äugte erwartungsvoll zu seinem gefährten hinüber.
„ich habe das meer mit eigenen augen gesehen. – aber das ist schon viele tage her.“ sagte gewichtig das linke.
„so, wo war das denn, das meer?“ doch um eine antwort auf diese frage zu finden mußte das linke kamel eine gute weile nachsinnen.
der wind hatte zwischenzeitlich so zugenommen, daß die kamele kaum die augen zu öffnen wagten, um nicht vom aufgetriebenen flugsand zu erblinden. es hatte sich so viel sand unter ihren bäuchen gesammelt, daß sie bis zu den knien in ihm versanken.
„das war in der nähe von al-hariga. ich stand auf einem hohen hügel und konnte ganz deutlich das meer sehen.“
„nun, was ist denn das, – das meer?“
„das meer ist viel, viel wasser. so viel, daß sich der himmel darin spiegelt und das meer ganz blau ist.“ sprach schwärmerisch das linke kamel.
„ist das mehr als fünf eimer wasser?“ wollte das rechte kamel wissen.
„viel mehr.“
„etwa zehn oder sogar zwanzig?“
„ja … das könnte stimmen.“ sagte abschätzend das linke kamel. danach schwiegen sie lange zeit und träumten, jedes von seinem meer.
„wir sind sehr weise.“ stellten sie gemeinsam fest. doch sie mußten ihre worte schon schreien, damit der wind sie nicht fortblies. der sand reichte nun schon bis zu ihrem bauch und flutete über den bogen ihres halses. so konnte man annehmen, daß die köpfe auf langen pflöcken im sande steckten.
„oh ja, das sind wir!“ schrie das rechte kamel so laut es konnte, doch seine worte erreichten das andere nicht mehr. der wind war zu heftig geworden, der feine sand flog wie tausend peitschenhiebe über die dünen. die beiden kamele reckten die hälse im sand, über den nächsten hügel jagte mit ohrenbetäubendem lärm die große schwarze wolke.
Verlag Frank Albrecht
Schriessheim 1991
ISBN 3-926360-09-7
Auflage beträgt 15 Exemplare.
Zu jedem der Exemplare entstand durch den Autor ein eigenes Bronzerelief, dessen Entwurf als Frontispiz beigebunden ist.
Handsatz aus der 16 Punkt mageren Weiß-Antiqua und Handdruck aus 250g Van Gelder-Bütten durch Eva und Werner Matthäus, Denklingen.
Ausführung und Guß der Bronzereliefs durch Ulf Püschel.
Den Handeinband in Ganzleinen und den Pappschuber fertigte Karl-Josef Wittpahl.